Rückkehr klingt nicht besonders
verlockend, alt noch weniger. Die negative Anmutung, die von solchen Wörtern
ausgeht, hält auch manchen Kritiker der Rechtschreibreform davon ab, ohne weiteres die
Rückkehr zur alten Rechtschreibung zu fordern. Lieber dringt man auf Korrektur der neuen,
meist ohne zu bedenken, daß jede Nachbesserung nichts anderes bedeutet als schon
wieder eine Reform mit allen Folgekosten, auch nichtmateriellen. Außerdem
hat die Reform mit der künstlichen Veralterung der Buchbestände einen Kulturbruch mit
sich gebracht und entwickelt weiterhin so schädliche Nebenwirkungen, daß ein Augenblick
der Besinnung nottut.
Auf der Internetseite des Duden-Verlags kann man folgendes lesen :
Manches, was an Entscheidungen in der Zeit nach 1901
(vor allem durch Einzelfallregelungen) hinzugekommen ist, hat die Erlernbarkeit der
Rechtschreibung eher erschwert als erleichtert. Selbst geübte Schreiber waren unter
diesen Bedingungen nicht immer in der Lage, allen Feinheiten der deutschen
Rechtschreibregelung gerecht zu werden.
Die Darstellung trifft zu, und doch ist es seltsam, ihr an dieser
Stelle zu begegnen. Denn es war ja niemand anders als die Duden-Redaktion selbst, die
durch weltfremde Haarspaltereien die deutsche Rechtschreibung zu einem kaum noch
überschaubaren Lernpensum gemacht hat. Erst dadurch bekam der Werbeslogan Den Duden
braucht jeder seinen Sinn.
Sehen wir uns die bisherige Praxis an einem Beispiel an. Viele
gebildete Zeitgenossen, die eigentlich dem Duden die Treue halten wollen, sind sehr
erstaunt, wenn man ihnen miteilt, daß der alte Duden für ernst nehmen nur
Getrenntschreibung zuließ. Das Partizip ernstgenommen war dagegen
zusammenzuschreiben, und bei ernst zu nehmend war sowohl Getrennt- als auch
Zusammenschreibung erlaubt. Hingegen mußte leichtnehmen immer
zusammengeschrieben werden. Bedenkt man ferner, daß es viele hundert Einzelfestlegungen
dieser Art gab, so muß man sagen : Der Duden war selbst schuld daran, daß der Ruf nach jener Reform immer
lauter wurde, an der nun der Verlag zugrunde zu gehen (bzw. zugrundezugehen aber
das war nicht zulässig !)
droht.
Die Neuregelung hat diesen Irrweg nicht etwa verlassen, sondern
ihm nur eine leicht verschiedene Richtung gegeben. Schrieb der Duden noch mal vor,
so legt die Neuregelung ebenso rigide nochmal fest. Daß in Wirklichkeit beide
Schreibweisen üblich sind und völlig auf der Linie der natürlichen Sprachentwicklung
liegen, wird hier wie dort verleugnet. Allerdings blieb es der Reform vorbehalten, auch
noch eine Reihe grammatisch falscher Schreibweisen hinzuzufügen : so Leid es mir tut, wie Recht du
hattest, sehr Besorgnis erregend. Ganz zu schweigen vom schlicht Lächerlichen : Füße, die behände sind,
Schaden zu tun . . . (Lutherbibel, Spr. 6,18, in neuer Rechtschreibung). Das
wenigstens hatte uns der Duden niemals zugemutet.
Der Ausweg aus diesem Dilemma ist so naheliegend, daß es fast
peinlich ist, immer wieder darauf hinweisen zu müssen. Wenn man die bisherige
Rechtschreibung zunächst einmal so erfaßt und darstellt, wie sie wirklich war und in den
seriöseren Medien immer noch ist, erweist sie sich als wesentlich einfacher, als ihre
Darstellung im Duden vermuten läßt. Sie zeigt auch erst dann ihre unglaubliche, im Laufe
von Jahrhunderten entwickelte erzielte Feinheit und Leserfreundlichkeit.
Die deutsche Rechtschreibung ist zwar Menschenwerk, aber sie ist
keinem Gesamtplan entsprungen, sondern ein typisches Phänomen der dritten Art, wie die
Sprache selbst. Je mehr man sich damit beschäftigt, um so mehr staunt man über die
genialen Einzelheiten. Anders die Reformer: Sie haben zuerst Regeln aufgestellt und dann
ohne Rücksicht auf das Gewachsene die Schreibweise einzelner Wörter daraus deduziert.
Um der Sprachgemeinschaft als einer entdeckenden und erfindenden
Gruppe gerecht zu werden, muß man freilich den Staat in seine Schranken weisen. Bis 1998
hat er aus dem Bestand des Üblichen ausgewählt und für die Schule Einheitlichkeit
erwirkt, er hat aber niemals neue Schreibweisen erfunden oder von sogenannten Experten
konstruieren lassen. Nach den schlimmen Erfahrungen mit der Rechtschreibreform der
einzigen, die es in Deutschland je gegeben hat sollte er sich ganz zurückziehen
und die Schriftsprache wieder ihren kompetenten Benutzern überlassen. Sorgen um die
Einheitlichkeit der Schriftsprache braucht sich niemand zu machen. Der Staat kümmert sich
ja auch nicht um die Grammatik, um die Aussprache oder um die Bedeutung der Wörter. Es
würde genügen, Rechtschreibbücher für die Schule einem normalen Zulassungsverfahren zu
unterwerfen.