Come in and find out. An
sich ist die neue deutsche Rechtschreibung etwas, das die Werbung gar nicht betrifft. Die
Werbung spricht nicht deutsch, sondern englisch. Sie sagt und schreibt Dinge wie Leading
to results (Deutsche Bank), Lets make things better
(Philips) oder eben : Come in and find out (Douglas). Es ist eine Art Zwang.
Die Werbung kann nicht anders. Sie wird dafür belächelt und angefeindet und verspottet
aber sie spricht englisch. Sie spricht es und schreibt es und kennt natürlich auch
den Unterschied zwischen Englisch und Deutsch auf diesen Unterschied kommt es ihr
ja gerade an. Einerseits. Aber andererseits, da schreibt sie mitten in ihrem besten
Englisch plötzlich : Tipp.
Warum, ist nicht recht klar. Doch die Werbung schreibt : Beauty-Tipp (Douglas), Fashion-Tipp
(Otto-Versand) und Last Minute Tipp (Die Bahn). Sie schreibt Broker-Tipp
(Die Sparkassen) und Insider-Tipp (Marco Polo). Und sie schreibt Quick Tipp
(Müller Milch) und Web-Tipp (SAT 1) und manchmal sogar World Wide Whip Tipp
(Kraft). Sie schreibt es jetzt recht genau schon drei Jahre lang. Aber Englisch ist es
nicht.
Wir wissen, was vor drei Jahren geschah. Der 1. 8. 1999 war der
Tag, an dem die Presse umstellte. Nicht alle, aber doch so gut wie alle deutschsprachigen
Zeitungen und Zeitschriften gingen über zu einer neuen deutschen Rechtschreibung. Sie
schrieben nicht mehr daß, sondern dass, sie schrieben
nicht mehr sogenannt, sondern so genannt, und sie
schrieben nicht mehr Tip, sondern Tipp. Wir wissen, daß
die Presse sich zu diesem Schritt zwar nicht gesetzlich, aber doch moralisch verpflichtet
fühlte. Bereits ein Jahr zuvor, am 1. 8. 1998, hatten die Behörden und Schulen in
Deutschland, von Tip auf Tipp umgestellt. Und wir wissen, daß deren
Umstellung wiederum zurückzuführen ist auf ein Treffen am 14. 12. 1995, bei dem der
damalige Bundeskanzler und die Ministerpräsidenten der Länder die Einführung der neuen
Schreibweisen zum 1. 8. 1998 beschlossen hatten. Gemeint war natürlich die Einführung in
deutschen Texten und Formulierungen und nicht etwa in englischen. Doch irgend etwas ist
schiefgelaufen. Denn seit dem 1. 8. 1999 schreibt nicht nur die deutsche Werbung, sondern
auch die deutsche Presse beständig Dinge wie Explorer Tipp (Geo Magazin), Event-Tipp
(Amica), Surftipp (Der Spiegel), Top-Tipp (Prisma), Hip-Tipp (die
tageszeitung), Business Tipp (Petra) oder Money-Tipp (Focus Money).
Etwas ist schiefgelaufen. Aber was genau? Zum einen beobachten wir diesen Zwang, sich
auf englisch zu äußern. Zusammen mit der Werbung unterliegen ihm auch die Werbeträger.
Doch zum anderen unterliegen sie dem offenbar noch größeren Zwang, Tipp zu
schreiben, und zwar selbst da, wo sie es eigentlich englisch meinen. Es ist, als würde
uns jemand, den wir danach nicht einmal gefragt haben, in schlechtem Englisch beteuern,
daß er sehr gut englisch spreche. We speak englisch.
Früher einmal, da fand man so etwas komisch. Vor allem dann, wenn es gar noch auf
deutsch passierte :
wenn man zum Beispiel Urlaub im Ausland machte und auf einer Speisekarte oder einem Schild
Dinge las wie Speisse-karte, Herzlisch Will Kommen oder Man
Spricht Deutch. Früher hat man über so etwas gelacht. Heute weiß man nicht mehr
so recht : Ist es
komisch ? Oder ist es
die neue Rechtschreibung ?
Was ist das überhaupt: Rechtschreibung ? Was bedeutet es, wenn das Wort Tip
nach 140 Jahren seit damals hat es im Deutschen den einheimischen Wink verdrängt
von einem Tag auf den anderen nicht mehr so geschrieben werden soll ? Bedeutet es, daß es von Anfang
an ein Fehler war, es so zu schreiben ? Falls ja : Wie konnte dieser Fehler so lange unbemerkt bleiben ? Falls nein : Wieso ist es dann jetzt plötzlich einer ? Und wieso ist es keiner im
Englischen, wo man seit jeher tip schreibt ?
Folgt man etwa dem britischen Merriam-Websters
Dictionary, so ist Rechtschreibung the art of writing words with the proper
letters according to standard usage : die Lehre von den Schreibweisen, die üblich sind. Folgt man dagegen den
Betreibern der deutschen Rechtschreibreform, so ist Rechtschreibung eher eine Form von
Diskriminierung und Schikane : ein, wie es der damalige niedersächsische Kultusminister Rolf Wernstedt
(SPD) 1996 ausdrückte, Herrschaftsinstrument (. . .), mit dem wirklich Bedrückung
betrieben werden kann. Indem es nämlich, wie die Vorsitzende des Bundeselternrats
Renate Hendricks vor zwei Jahren in einem offenen Brief zur Verteidigung der Reform noch
einmal darlegte, gewissen eher konservativen Kreisen die Möglichkeit gibt, die
Qualität eines Menschen an seinen Rechtschreibleistungen fest zu machen.
Für die Schreibweise Tip würde das bedeuten, daß sie in
England evolutionär und von selbst aufgekommen, in Deutschland dagegen durch einen
Willkürakt erzwungen worden wäre. Mit der Entdeckung, daß das Wort Tip sich in
Wahrheit Tipp schreibt, wären sozusagen orthographische Ketten gesprengt worden,
in denen die bedrückten Massen 140 Jahre lang gelegen haben was auch die
Begeisterung erklären könnte, mit der die einzig wahre Schreibweise nun überall
angenommen wird. Im Widerspruch dazu steht allerdings die Tatsache, daß 56 Prozent der
Bevölkerung der jüngsten Allensbach-Umfrage vom April zufolge auch im vierten Jahr nach
der Reform die neue Rechtschreibung ablehnen. Die Begeisterung ist wohl nur eine
scheinbare. Allzu tief empfunden werden dürfte sie nicht einmal von jenen 10 Prozent der
Bevölkerung, die die neue Rechtschreibung noch immer befürworten.
Tipp soll man jetzt schreiben, Tripp, Topp,
Chipp, Flopp, Slipp oder Popp aber nicht. Aufwändig soll
richtig sein, auswändig dagegen falsch. Im Nachhinein soll stimmen, von
Vornherein nicht. Daß man wieder sehen schreiben müsse, meinte 1996 der
ersten Duden für reformierte Rechtschreibung, daß eher wiedersehen korrekt sei,
meinte vier Jahre später wieder der zweite. Das Versprechen der Reformer war, daß die
neue Rechtschreibung einfacher und logischer sein würde. Das Ergebnis ist, daß man nicht
einmal mehr genau sagen kann, worin sie eigentlich besteht.
Die Bundeselternratsvorsitzende schreibt fest zu machen,
obwohl die Reform an der Schreibweise festzumachen nichts geändert hat. Die
Duden-Redaktion erklärt in ihrem jüngsten Newsletter, daß Schreibweisen wie
angsteinflößend eventuell doch korrekt sein könnten, während das amtliche
Regelwerk ganz unmißverständlich Angst einflößend vorschreibt. Ein Professor
der Universität Vechta veranstaltet zwar Kurse in neuer Rechtschreibung, lehrt aber die
Schreibung sogenannt, weil er glaubt, das amtliche Regelwerk, das sich auf so
genannt festlegt, werde hier von seinen eigenen Autoren mißverstanden. Die PISA-Studie stellt fest, daß
Deutschlands Schüler Schwierigkeiten insbesondere beim Lesen haben. Gleichzeitig tilgen
die Kinder- und Schulbuchverlage aus sämtlichen Büchern, mit denen die Schüler das
Lesen lernen sollen, alle nach den Regeln der neuen Rechtschreibung nur tilgbaren Kommata.
Die Arbeitsgruppe der deutschen Nachrichtenagenturen dagegen erklärt : Die Agenturen bleiben bei der
alten Form der Zeichensetzung, um die Lesbarkeit ihrer Nachrichten (. . .) zu
gewährleisten.
Wer also hat recht ? Die Kritiker der Reform, die es für angezeigt halten, das Experiment an
dieser Stelle abzubrechen und zurückzukehren zur bewährten Rechtschreibung ? Oder das Kultusministerium von
Rheinland-Pfalz, das seinen Schülern mittlerweile erlaubt, bei Deutsch-Diktaten ein
Wörterbuch zu benutzen ?
Und wer bringt der Werbung bei, daß es zwar schön ist, wenn sie gelegentlich doch noch
einmal den Versuch macht, sich auf deutsch auszudrücken, aber trotzdem auch nach der
neuen Rechtschreibung falsch, wenn sie jetzt weiss (blend-a-med), heiss (UCI
Kinowelt), Spass (Die Bahn), Gruss (Quelle), Fussball (Gillette) oder
Füsse (Bayer) schreibt ?
Vielleicht liegt hier die Erklärung. Vielleicht schreiben
deshalb alle Tipp, weil es die einzige Neuerung ist, die wirklich jeder
begriffen hat. Und vielleicht ist das zudem einer der Gründe, warum so viele das Gefühl
haben, daß es besser wäre, sich gleich auf englisch zu äußern. Falls ja, wäre das
tragisch. Wie wir gesehen haben, geht nur eines von beiden. Vier Jahre nach der
Rechtschreibreform können die Deutschen nicht einmal mehr Englisch.