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D i e A u r
a d e r W ö r t e r Von R e i n
e r K u n z e Er gehörte zu den Exoten unter den Bundespolitikern: Er las Gedichte und suchte das Gespräch mit den Autoren. Deshalb hatte ich die Frage, was mir denn so sehr mißfalle an der neuen Rechtschreibung, von ihm nicht erwartet. Er wußte doch Bescheid. Was ihm also antworten, ohne ihm zu sagen, was er selbst wußte ? »Wissen Sie«, sagte ich, »wenn ich in einer Festrede von Günter de Bruyn von »schön gefärbten Verlautbarungen«, im »Spiegel« eine Orthographie wie »weit gehend kontrollieren« oder in der Süddeutschen Zeitung die Überschrift »Anders Denkende« lesen muß, obwohl der Beitrag Andersdenkende betrifft, dann tut mir das einfach weh. »Übertreiben Sie da nicht ?« fragte er. Darauf sagte ich: Das Wort besitzt eine Aura, die aus seinem Schriftbild, seinem Klang und den Assoziationen besteht, die es in uns hervorruft, und je wichtiger und gebräuchlicher ein Wort ist, desto intensiver und prägender ist diese Aura. Wer sie zerstört, zerstört etwas in uns, er tastet den Fundus unseres Unbewußten an. Wird man also ständig mit Wörtern konfrontiert, deren Aura zerstört ist, weil sie zerschnitten sind (»weit gehend« statt »weitgehend«), weil sie so, wie sie jetzt geschrieben werden, anders klingen (»Anders Denkende« statt »Andersdenkende«) oder weil man ihnen eine Packung von drei »s« verpaßt und ihnen dann eine Spreizstange eingezogen hat (»Fluss-Senke«), dann ist die Wahrnehmung dieser Zerstörung jedesmal ein Mikrotrauma, eine winzige psychische Läsion, was auf die Dauer entweder zu Sprachdesensibilisierung, Abstumpfung und Resignation oder zu zunehmend unfreundlicheren Gefühlen denen gegenüber führt, die das alles ohne Not verursacht haben. Ob ich annähme, daß die Kultusminister darüber jemals nachgedacht haben, fragte er. Friedrich Denk aus Weilheim hat ihnen die Beispiele seitenweise aufgeschrieben, sagte ich, und zwar lange vor Inkrafttreten der Reform. Aber auch der liebe Gott hätte keine Chance gehabt, die Kultusminister zu bekehren. Ihr Glück, daß es nur Friedrich Denk und nicht der liebe Gott gewesen ist, sonst kämen sie zur Strafe alle in die Hölle. Mit ihnen die Ministerpräsidenten, der damalige Bundesinnenminister und die gesamte federführende Ministerialbürokratie. In der Hölle träfen sie dann auf die Rechtschreibkommission. Er lachte. Dann kam er auf die Eingangsfrage zurück und sagte : »Aber ist das denn wirklich so wichtig ?« *** Ein Ministerpräsident, den ich nach seiner Meinung über die Rechtschreibreform fragte, sagte mit sympathischer Offenheit: »Herr Kunze, ich habe keine Ahnung, worum es da geht!« Diese Äußerung könnte bezeugt werden, wobei die Zeugin jedoch als befangen gelten würde, denn ich bin mit ihr verheiratet. Wenige Tage später ließ unser Gesprächspartner vor den Mikrophonen der Ministerpräsidentenkonferenz keinen Zweifel daran, daß die von den Kultusministern beschlossene Rechtschreibreform allen Einwänden standhalte. Wer vom Staat getragen wird, der trägt den Staat. *** Schlimm, wenn jemand das letzte Wort, aber kein Verhältnis zur Sprache hat. *** Reiner Kunze : Die Aura der Wörter. Denkschrift Erschienen im Radius-Verlag 2002 |