Die sinnreiche und
gehaltvolle Parabel ist wohl bekannt : Sauron, der böse und bornierte
Herrscher, sucht sich in den Besitz des Einen Ringes
zu bringen, welcher der Inbegriff von Macht und
Prestige ist. Besonders gefährliche Helfer und
Handlanger hat er in den Orks, scheußlichen
Kriegern, die in klobigen Stiefeln rennen, wohin man
befiehlt, und alles Schöne und Feine niedertrampeln.
Auf der Gegenseite steht Mister Frodo vom
freundlichen Volk der kleinen Hobbits, der den Ring
ins Zentrum der bösen Macht, in den Mittelpunkt des
Unsinns tragen soll, wo er vernichtet werden kann.
Ihn begleiten etliche Gefährten, darunter der weise
und sprachenkundige Zauberer Gandalf.
Das gebundene Buch,
erschienen bei Klett-Cotta (8. Auflage 2001), liegt,
obwohl umfangreich, angenehm in der Hand. Die Seiten
sind von eleganter Dünnheit, das Druckbild ist
schön. Einband, Umschlag und Schnitt sind rot, denn
in Tolkiens Erfindung ist die Hauptquelle der
Erzählung das sogenannte Rote Buch der
Westmark.
Wolfgang Krege hat in ein im
allgemeinen gutes Deutsch übersetzt, verschiedene
Stilebenen nicht ohne Sinn verbindend. An
Einzelheiten kann man immer beckmessern (z. B. an Er
lachte bitterlich). Im folgenden soll aber
Orthographie das Thema sein. Untersucht worden ist
etwa die Hälfte des Buches, es besteht kein Anspruch
auf Vollständigkeit. Das Nachwort Zur neuen
Übersetzung ist vom September 1999 datiert (dies
zur Bestimmung der Epoche des orthographischen
Zwists).
Glanzstücke der Reform
Die Konjunktion wird dass
geschrieben, und es wimmelt von Leid und Recht.
Besonders frappierend : Und
wie Recht er gehabt hat !
oder Er hatte keine Zeit gehabt, sich Leid zu
tun, wo man kurz an Suizid denken muß.
Versehentlich richtig geschrieben ist je einmal : Tut mir leid und Ja, du
hast recht. Sehr häufig sind raue Schreie u.
ä. Einmal begegnet : Höchste
Eile tut Not. Eine Zeitlang wird aufgelöst.
Gegen die neuen Vorschriften
oder Lizenzen werden geschrieben : behend,
Gemse, Glockenstengel (von Hyazinthen), Greuel,
Handvoll, hartgesotten, selbständig, tiefgreifend,
Zierat.
Der Erste u. ä.
Das Wort wird groß
geschrieben, auch wo es reines Zahlwort ist : Die großen Zehen (. . .) setzte
er (. . .) als Erste auf den Boden. Gegenbeispiel : Gollum ergriff als erster die
Flucht. Im überraschenden Wechsel : äußerte sich der Erste, sagte
ein dritter, sagte der vierte.
Konsonanten
Drei Konsonanten begegnen
mehrfach in der (schnell abgenutzten) Formel helllichter
Tag. Bei Fußtapfen ist auf das
zusätzliche s verzichtet worden (im Kontrast:
Orkstapfen). Die Schreibweisen Schluss-Stein
und Hass-Schrei stellen der neuen
ss/ß-Regelung das testimonium paupertatis, das
Armutszeugnis aus.
mal
Konsequent wird noch mal geschrieben,
obwohl nach Regel § 55(4) nochmal verlangt
wäre, was nicht einmal dem Verfasser des amtlichen
Wörterverzeichnisses bewußt war. Daneben finden
sich diesmal und jedes Mal (jedesmal ist
offenbar von den Reformern vergessen worden). Zum
erstenmal, analog zum regelkonformen ein
andermal gebildet, findet sich nur auf dem
hinteren Umschlag ; im
Text : zum ersten Mal.
Phraseologische Wortart
Folgende Sätze zeigen die
Schwerfälligkeit (nicht Unverständlichkeit) dieser
Wiederherstellung des 19. Jahrhunderts :
Sag mir erst
deinen Namen (. . .) und dann sag ich dir
meinen und noch einiges des Weiteren. Die Kekse
waren zwar zerbrochen, im Übrigen aber hatten
sie sich in ihrer Laubverpackung gut gehalten.
Wer solche Adverbialien
groß schreiben will, müßte überlegen, wo sie im
Satz zu plazieren sind, damit das Gleichgewicht nicht
gestört wird.
Satzzeichen und Apostroph
Die neuen Regeln der
Interpunktion werden nicht angewendet. Seltsam sind
folgende Setzungen des Apostrophs : Abers ist Abend. Kräuter
müßtes eigentlich geben. Ers ein
Schnüffler. Ja, denk maln bisschen nach.
Tageszeiten
Sehr zahlreich sind die
altehrwürdigen heute Nacht, gestern Abend u.
a., aber Überreste der modernen Schreibweisen finden
sich auch hier, z. B. heute morgen, gestern
morgen.
Trennungen
Die neue Trennung von ck und
st wird erfolgreich absolviert : bli-cken, Zwis-tigkeiten,
wenigs-tens. Ein Rückfall : gelei-stet.
Größer sind die Probleme mit herauf und
Familie : hi-nauf und hin-auf,
da-rüber, vo-rüber, aber her-auf, dar-auf,
her-aus.
wiedersehen
Die Leidensgeschichte dieses
Wortes, das der Duden auf wieder sehen reduzieren
wollte, ist bekannt. Hier nun ist die Lösung das
salomonische Prinzip der variatio, der Abwechslung : das Verlangen (. . .),
Fimbrethil wiederzusehen (to see . . . again); dass
wir sie (. . .) wieder sehen werden (meet again); wir
haben ihn (. . .) nicht wieder gesehen (see . . .
again).
Zusammensetzungen und
Ableitungen
Hier ist erwartungsgemäß
das Durcheinander besonders groß. Gleich das erste
Kapitel trägt den Titel Das langerwartete Fest. Regelkonform
dagegen die lang gestreckte Höhle. Regelkonform
auch : Der Garten war voll gestellt mit
Hütten und Schuppen. Kontrast: bis alle
Keller vollgelaufen waren. Falsch geschrieben
sind die samentragenden Gräser, die aasfressenden
Tiere ; Muster wäre hier das neue Fleisch
fressend. Falsch ist auch das immerwährende
Ächzen. Ein weiterer Kontrast : Der eine Helm ist hochgewölbt
(high-crowned), der andere hoch gewölbt
(lofty). Pfeile sind einmal grüngefiedert
(green-feathered), einmal schwarz gefiedert
(black-feathered). Nach demselben altgriechischen
Muster: ein vielgeprügelter Hund (a whipped cur);
wer den neuen Regeln folgen will, müßte sich am
viel gelesen des Wörterverzeichnisses
orientieren.
Auch die famose ig-Regel
sorgt für Abwechslung : in
schmutzig grauen Lumpen (in dirty grey rags),
schmutzigrot (dusty red), schmutzigbraun (drab),
schmutzig braun (drab-hued).
Vielleicht auch nach dieser
Regel geschrieben ist das seidig graue Seil
(silken-grey rope). Deutlicher wäre : seidig-grau, denn beim
ersten Vorkommen schildert Tolkien explizit : silken to the touch, grey of
hue.
Ein Fazit
Trotz sorgfältiger
Ausstattung ist das Werk orthographisch ziemlich
mangelhaft. Einmal mehr zeigt sich, daß viele der
neuen Regeln zu kompliziert sind oder gegen
gewachsene Prinzipien der Sprache verstoßen.
Fragen :
Entspricht die Orthographie dem Wunsch des
Übersetzers ? Wer hat die Auswahl aus den neuen
Regeln getroffen und nach welchem Kriterium ? Ist unser orthographisches Niveau
nicht sehr Kopfweh erregend ?
Das Schlußwort habe der
Zauberer Gandalf
: Saurons Übel
läßt sich nicht völlig aus der Welt schaffen oder
ungeschehen machen. Doch solche Tage sind uns
beschieden. Nun weiter auf dem Weg, zu dem wir uns
aufgemacht haben !