Die
Rechtschreibreform ist dynamisch, sie geht weiter
daran haben die staatlich bestellten Reformer
in der Zwischenstaatlichen Kommission nie einen
Zweifel gelassen. Weiter geht freilich auch die
Geheimniskrämerei über dieses in höchstem Maße
öffentliche Anliegen. Der hier angezeigte
Dritte Bericht vom 15. 12. 2001 wäre
wiederum wie seine Vorgänger den eigentlich
Betroffenen verborgen geblieben, hätten ihn nicht
beherzte Demokraten kurzerhand ins Internet gestellt
übrigens mitsamt Auszügen aus dem
weitergehenden Entwurf :
Die Neuregelung ist weder ein
menschenverachtendes Massenexperiment
noch gehört sie auf den Müllhaufen der
Geschichte. So tief sitzen die alten
Vorwürfe, die die Reformer zu entkräften suchen.
Gerhard Augst und Klaus
Heller, der Vorsitzende und der Geschäftsführer der
Zwischenstaatlichen Kommission, berichten über die
Entwicklung der Rechtschreibreform in den Jahren 2000
und 2001. Der Bericht besteht aus zwei Hauptteilen
und einem Anhang. In Teil A geht es um die
Anwendung der neuen Rechtschreibung
innerhalb und außerhalb des Bereichs staatlicher
Regelungsvollmacht. (S. 108) Daß aus den
Schulen nur Gutes zu berichten ist, überrascht
trotz PISA
wohl niemanden
angesichts der dienstlichen Erhebung der Daten. Mehr
noch: Aus den Grundschulen wird Unmut darüber
bekannt, daß die Substantivkleinschreibung weiter
auf sich warten lasse, ja selbst die Ersetzung von ai
durch ei, (teilweise) äu durch eu
und aller ß durch ss hat angeblich
an deutschen Schulen ihre Befürworter. Bei den
Behörden und den EU-Institutionen ist die
Neuregelung inzwischen problemlos
eingeführt worden, ebenso bei Nachrichtenagenturen
und Presseorganen (mit der einen bemerkenswerten
Ausnahme). Weniger gut findet die
Rechtschreibkommission, daß die Nachrichtenagenturen
und in deren Gefolge die gesamte Presse in wichtigen
Punkten von der Neuregelung 1996 abweichen und einige
Zeitungen (z. B. Die Zeit) sogar eine
Hausorthographie pflegen. Das Streben nach einer
unverwechselbaren Corporate Identity (S.
26) dürfe nicht auf Kosten der Einheitlichkeit zum
Wohle der Kinder gehen. Auch bei den sorgfältig für
die Befragung ausgewählten Verlagen ist offenbar der
Durchbruch gelungen: 74,3 % ihrer im Berichtszeitraum
publizierten Bücher sind in Neuschreibung. Anders
sieht das Bild jedoch aus, wenn man
Wissenschaftliche Literatur,
Unterhaltungsliteratur und hohe
Literatur getrennt auszählt. Hier sträuben
sich weiterhin 33 renommierte Verlage gegen die
Umstellung, nur 19 machen mit. Der S.-Fischer-Verlag
berichtet unverblümt: Ein großer Teil unserer
Autorinnen und Autoren besteht auf der alten
Rechtschreibung. (S. 37) Im Bereich
Privates Schreiben wollen Augst/Heller
eine Umstellungsrate von 50 % ermittelt haben,
freilich auf der Grundlage von ganzen 131
Leserbriefen an zwei Zeitungsredaktionen. Wirklich
interessant ist in Teil A nur der Abschnitt
Umschulungen Kurse zur neuen
Rechtschreibung. An dieser Stelle wird der 3.
Bericht erstaunlich konkret :
Da die meisten
Teilnehmerinnen und Teilnehmer professionell
schreiben, beherrschen sie die alte
Rechtschreibung recht gut; ein unmittelbarer
persönlicher Nutzen ist für sie daher mit der
Neuregelung nicht verbunden . . . Die
allermeisten . . . können die einzelnen
Schreibungen aber nicht begründen. Das
Sprachgefühl steuert die Kommasetzung, die
Getrennt- und Zusammenschreibung, die Groß- und
Kleinschreibung und auch die
Laut-Buchstaben-Zuordnung. (S. 57)
So funktioniert in der Tat
eine unmanipulierte Rechtschreibung, und die
Rechtschreibreform wird daran zu messen sein, ob
diese natürliche Sicherheit je wieder eintritt.
Wer nun erwartet, daß in
Teil B von der Bewährung der neuen Regeln in der
bewußten Schreibpraxis die Rede ist,
sieht sich enttäuscht. Diskussion alternativer
Regelungen knüpft an den amtlichen
Mängelbericht von Dezember 1997 an und liefert eine
Vorschau auf die für spätestens 2005 geplante
Revision. Vor vier Jahren schlugen die
Rechtschreibreformer Regeländerungen vor mit dem
Ziel, eine Reihe von sprachwissenschaftlich und
schreibgeschichtlich unhaltbaren Neuschreibungen
wieder aufzugeben. Damit konnten sie sich jedoch bei
den Kultusministern der deutschsprachigen Länder
nicht durchsetzen, und so blieb ihnen nur die
Möglichkeit der zuweilen waghalsigen Interpretation
bestehender Regeln. Noch im August 2000 wußte
bekanntlich der Duden in seiner Neuauflage keine
amtliche Regel dafür zu nennen, warum er neuerdings
auf Anraten der Zwischenstaatlichen Kommission nur besorgniserregender
(neben Besorgnis erregend) vorschreibt.
Diese Erklärung liefern Augst/Heller jetzt nach : Nach Neuregelung § 36 (2) ist
zusammenzuschreiben, wenn ein Teil der
Zusammensetzung nicht selbständig vorkommt
also gewinnbringender, weil es die Wortform bringender
nicht gibt. Ein solcher Hinweis fehlt aber an der
angegebenen Stelle, und peinlicherweise wußten 1996
die Verfasser des amtlichen Wörterverzeichnisses,
immerhin eines integralen Teils der Neuregelung,
ebenfalls nichts davon. Jetzt heißt es deshalb: Das
Wörterverzeichnis hat nur illustrierenden,
nicht normsetzenden Charakter. (S. 81) Trotzdem
bleibt weiterhin die Merkwürdigkeit, daß bei vielen
zusammengesetzten Partizipien die Grundform anders
als die Steigerungsformen zu schreiben ist (zufrieden
stellend/zufriedenstellender). Doch auch für
dieses Problem meinen die Reformer jetzt Rat zu
wissen: Diese Investition ist Gewinn bringend sei
aus grammatischen Gründen unmöglich, es könne nur .
. . ist gewinnbringend heißen. Von
Univerbierung ist die Rede, freilich ohne
den Hinweis, auf welche amtliche Regel sich diese
Erklärung bezieht. Hier übersieht wohl niemand,
welch ein argumentativer Eiertanz nötig ist, um die
Reform von ihren schlimmsten Mißgriffen zu reinigen.
Übrigens sollen selbst nichtssagend und sogenannt
jetzt wieder zugelassen werden. Bei alledem
greifen Augst/Heller Einwände auf, die den Kennern
der Materie aus vielen Darlegungen des unermüdlichen
Reformkritikers Theodor Ickler bekannt sind. Daß der
3. Bericht ihm grundsätzlich
Verunglimpfungen unterstellt und ihn als
völlig diskreditiert bezeichnet, kann
wahrheitsliebende Bürgerinnen und Bürger nur
verwundern. Doch nach fast sechs Jahren massiver
Schelte liegen bei den Reformern die Nerven eben
blank. Das muß man ihnen nachsehen. Andererseits
haben sie auch dazugelernt. Eine Erweiterung der
Toleranzregel § 36 E2 soll nun auch die
ratsuchenden Bürger und eine alleinerziehende
Mutter wieder zulassen samt Ratsuchende
und Alleinerziehende.
Wirklich über ihren eigenen
Schatten springen die Reformer bei ihren
Paradeschreibungen Leid tun, Not tun und Pleite
gehen. In diesen Fällen könnte es bald drei
Schreibungen geben: leidtun (ganz
neu), Leid tun (neu) und leid
tun (alt). Im Rahmen dieser
Überlegungen packen die Reformer sogar das heißeste
Eisen der Neuregelung an : den
Verzicht auf das Betonungskriterium bei der
Bestimmung von Verbzusammensetzungen und folglich
deren Zusammenschreibung. 1997 hatten sie schon
weitgehende Regeländerungen vorgeschlagen, die dann
aber der Amtschefskonferenz der Kultusminister zum
Opfer fielen. Jetzt sagen Augst/Heller: Mit
Hilfe des Betonungskriteriums wird die
Zuammenschreibung als individueller Schreibusus
möglich. (S. 76) Bravo, hier sind so viele
Wörter betroffen, daß wir sie unmöglich aufführen
können. An dieser Stelle sollten einige Journalisten
aufhorchen. Ihrem neuerlichen Hang, zusammengesetzte
Verben nach Belieben aufzulösen (auf zu lösen), da
die Rechtschreibkontrolle des Redaktionscomputers in
diesem Falle nichts merkt, kann man keine große
Zukunft voraussagen. Schließlich sind noch fast 30
Seiten des Berichts Fällen wie schwarzes/Schwarzes
Brett gewidmet. Der Fleiß ist zu bewundern, aber
er ist für die Katz : Hier
hat es nach dem eindeutigen Veto der Presseagenturen
keine Einbrüche gegeben. Die entsprechenden neuen
Regeln wie auch die zur reformierten Kommasetzung
interessieren außerhalb der Schulen
heute niemanden mehr.
Die Lektüre des Anhangs,
insbesondere der Stellungnahmen des
bundesrepublikanischen und des
österreichischen Beirates, kann man sich ersparen.
Immerhin wird hier die Veröffentlichung der
Zwischenstaatlichen Berichte angeregt, was
Augst/Heller aber nur mit der Einschränkung
befürworten, daß die zu erwartende Diskussion
zumindest am Anfang zu steuern sei.
Trotz allem ist es
tröstlich, daß den führenden Rechtschreibreformern
auch nach jahrzehntelangem Einsatz für ihre
Lieblingsideen der Kontakt zur Sprachwirklichkeit
nicht verlorengegangen ist. Gegen Ende des
redaktionellen Teils ihres Berichts sprechen Gerhard
Augst und Klaus Heller von der Dynamik der
Sprache, die es deutlich zu machen gelte.
Die Veränderung der Rechtschreibung könnte
damit trotz (amtlicher) Normierung als etwas der
Rechtschreibung Wesensgemäßes verstanden und
toleriert werden. (S. 112) Nichts anderes
meinte am 26. März 1998 der Deutsche Bundestag mit
seinem Votum Die Sprache gehört dem
Volk. Jetzt müßten nur noch alle deutschen
Kultusminister zu diesem demokratischen Grundkonsens
zurückfinden. Dagmar Schipanski, die neue
Präsidentin der Kultusministerkonferenz, hat gerade
den Anfang gemacht: Sie schreibt tiefgreifend wieder
zusammen alt und zugleich
ganz neu.